Interview mit FÖJ-Bundessprecher Elia
Ist ein FÖJ politisch?
Interview mit FÖJ-Bundessprecher Elia
Ist ein FÖJ eigentlich politisch? FÖJ-Bundessprecher Elia sagt Ja. Man kann sich in seinem FÖJ nämlich nicht nur in seiner Einsatzstelle, sondern auch als Sprecher engagieren. Einer der fünf Bundessprecher des Jahrgangs 19/20 kommt aus Schleswig-Holstein. Ich habe ihn für euch interviewt.
Moin Elia!
Du machst ja dein FÖJ beim Landessportfischerverband. Wie sieht deine Arbeit dort aus?
Moin! Wir sind einer der größten Naturschutzverbände in Schleswig-Holstein und kümmern uns um Fische, hauptsächlich im Süßwasser. Meine Aufgaben sind dabei super vielfältig: Wir untersuchen den Fischbestand in unterschiedlichen Gewässern, kümmern uns um die Vermehrung und Wiederansiedlung bedrohter Arten und sorgen dafür, dass die Fischfauna in Gewässern nachhaltig und natürlich bestehen kann.
Neben deiner Arbeit beim Landessportfischerverband bist du ja auch noch Bundessprecher. Erklär doch mal: Was ist das genau?
Im FÖJ gibt es ein bundesweites und demokratisch legitimiertes Sprecher*innensystem. Das bedeutet, dass die Freiwilligen ihre Vertreter*innen selbst wählen und die gewählten Sprecher*innen wiederum ihre Seminargruppe, ihr Bundesland oder alle FÖJler*innen deutschlandweit vertreten – das dürfen wir als Bundessprecher*innen übernehmen.
Wie wird man Bundessprecher?
In jeder Seminargruppe werden Gruppensprecher*innen gewählt, die sich dann innerhalb ihrer Bundesländer organisieren, Aktionen planen und für die Interessen der Freiwilligen aufstehen.
Aus allen Gruppensprecher*innen werden dann wiederum Bundesdelegierte gewählt. Die haben die Aufgabe, ihr Bundesland auf der Bundesdelegiertenkonferenz zu vertreten und arbeiten ähnlich wie auch die Gruppensprecher*innen, planen Aktionstage, diskutieren über Freiwilligenthemen und leisten Öffentlichkeitsarbeit – häufig nur etwas zeitintensiver und eben deutschlandweit.
Jetzt kommen wir der Sache näher: Auf der ersten Bundesdelegiertenkonferenz werden aus den 45 Bundesdelegierten fünf Bundessprecher*innen gewählt.
Was beinhaltet deine Arbeit als Bundessprecher alles?
Das schöne an der Arbeit als Sprecher*in im FÖJ ist ja, dass wir keinen vordefinierten Rahmen ausfüllen müssen. Wenn wir glauben, dass wir gute Interessensvertreter*innen sind, wenn wir bundesweite Müllsammelaktionen ins Leben rufen, dann können wir das machen.
Wir haben in unserem Jahr mit der BDK vier thematische Schwerpunkte gesetzt:
Wir brauchen endlich echte Jugendbeteiligung an politischen Prozessen. Aktuell werden grundlegende Entscheidungen über die Zukunft von Menschen getroffen, ohne all diejenigen einzubeziehen, die mit den Folgen zu leben haben. Das ist unfair und muss sich ändern!
Die CDU Deutschlands hat im letzten November einen Diskurs wieder ins Rollen gebracht, in den wir uns einmischen: Es darf keine Pflicht zum Dienst geben! Freiwilligendienste und freiwilliges Engagement funktionieren eben so gut, weil sie freiwillig sind und sollten deshalb gestärkt werden.
Das entscheidende Zukunftsthema für uns alle ist Klimagerechtigkeit. Entscheidungen, die heute getroffen werden, entscheiden einfach über Leben und Tod. Unsere bisherigen Bemühungen sind nicht ausreichend. Wir haben den Plan für eine klimagerechte, nachhaltige Welt und setzen ihn nicht um.
Auch wir als FÖJ-Teilnehmende tragen deshalb unseren Teil zur Debatte bei und bleiben laut – was aktuell klimapolitisch passiert, ist ein Skandal.
Last but not least setzen wir uns dafür ein, dass alle FÖJler*innen deutschlandweit Zeit- und Geldmittel bekommen, um ein eigenes Kleinprojekt in ihrer Einsatzstelle planen und durchführen zu können. In Schleswig-Holstein funktioniert das schon recht gut – das ist aber keine Selbstverständlichkeit.
Die Arbeit selbst ist mal unglaublich spannend, wenn wir auf Veranstaltungen sind, unsere Themen diskutieren oder brainstormen. Aber natürlich schreiben wir auch viele E-Mails, telefonieren untereinander und mit anderen Menschen, planen Veranstaltungen und formulieren Texte und Anträge. Das gehört dazu, ist aber zeitintensiv und manchmal anstrengend.
Du durftest in deinem Jahr viele interessante Gespräche führen und tolle Leute treffen. Gibt es eine Begegnung, die dir besonders im Gedächtnis geblieben ist?
Am Abend des 05.12.19 haben wir an der Verleihung des deutschen Engagementpreises in Berlin teilgenommen. In verschiedenen Kategorien wurden Preise verliehen und alle Gewinner*innen hatten jeweils eine*n Laudator*in, der*die eine Rede für sie gehalten hat.
Die Autorin und Schauspielerin Renan Demirkan war Laudatorin und hat mich mit ihrer Rede krass beeindruckt. Sie hat Politik offensiv in Haftung genommen, darüber gesprochen, was für ein Ausdruck von Politikversagen es ist, dass Menschen sich heute immer noch ehrenamtlich für Bildungsgerechtigkeit einsetzen müssen. Sie hat aufgezeigt, wie peinlich es ist, dass wir es in Deutschland seit Jahrzehnten nicht schaffen, ein gerechtes und inklusives Bildungssystem zu etablieren und war gleichermaßen unfassbar wertschätzend den Gewinner*innen gegenüber. Sie hat ihre Redezeit maßlos überzogen und wurde dabei nicht unterbrochen.
In der Pause habe ich sie am Buffet wiedergetroffen und ihr gesagt, wie gut und treffend ich ihre Rede fand. Daraufhin haben wir gut zehn Minuten über ihre Arbeit und Gedanken, aber auch über das FÖJ und meine Zukunft gesprochen – das war sehr besonders.
Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit den anderen Bundessprechern, gerade auch in Zeiten von Corona?
Unter uns können wir uns jährlich fünfmal treffen, hören uns aber mindestens einmal in der Woche in einer Videokonferenz. Durch Corona hat sich die Zusammenarbeit noch weiter in den digitalen Raum verschoben und wir haben uns zwischenzeitlich drei Monate nicht gesehen. Vor einigen Wochen haben wir uns aber trotz Corona und mit Infektionsschutzmaßnahmen getroffen – digital plant und bespricht es sich einfach sehr mühsam und wir waren an einem Punkt, wo wir nicht mehr richtig weitergekommen sind.
Auf was von eurer Arbeit bist du besonders stolz?
Wir passen sehr gut aufeinander auf. Als Bundessprecher*in überarbeitet man sich recht schnell, weil quasi immer etwas zu tun ist. Paar Mails geschrieben, bisschen telefoniert hier und recherchiert da und schon ist es irgendwie wieder 2 Uhr nachts. Das ist mir in diesem Jahr nicht nur einmal passiert, ist aber auch nicht weiter schlimm. Ich glaube nur, es ist sehr wichtig, untereinander transparent zu machen, wie viel man selbst machen möchte und kann, um dann auch Aufgaben abgeben und aufteilen zu können.
Hast du es auch mal bereut, Bundessprecher geworden zu sein?
Nein, tatsächlich nicht.
Was hat deine Einsatzstelle dazu gesagt? Schließlich hast du durch die Sprechertätigkeit weniger Zeit in deiner Einsatzstelle, oder?
Meine Einsatzstelle ist da super cool und locker, wir finden immer einen Kompromiss und ich hatte bisher immer genügend Freiräume, um an Treffen und Veranstaltungen teilzunehmen. Klar ist aber auch, dass der Großteil der Bundessprecher*innenarbeit außerhalb meiner Arbeitszeit stattfindet – meistens am Abend.
Gibt es etwas, was du an dem FÖJ in Schleswig-Holstein verändern würdest?
Das FÖJ in Schleswig-Holstein ist durch den FÖJ-Ausschuss und das Engagement unserer Träger schon sehr cool, ich glaube nicht.
Was würdest du den Bundessprechern im nächsten Jahr raten?
Zwei Dinge: Nehmt euch jede Menge Zeit, um persönlich zusammenzuwachsen und arbeitet am Anfang nicht so viel.
Und: Schafft euch Strukturen, über die ihr immer rückmelden könnt, wenn es euch nicht gut geht oder ihr euch überarbeitet und alleingelassen fühlt.
Was hast du durch deine Tätigkeit als Bundessprecher gelernt?
Produktives Teamwork und Loslassen. Ich bin eher ein Kontrollfreak und habe gerne alle Fäden selbst in der Hand. Wenn die Arbeitsmenge aber größer wird, geht das teils nicht mehr. Am Anfang war ich davon super gestresst – mittlerweile weiß ich, dass ich vier wahnsinnig kompetente Kolleg*innen habe, die immer voll abliefern, wenn sie eine Aufgabe übernehmen. Diese Einsicht hat bei mir ein wenig gedauert.
Ist ein FÖJ politisch?
Ja, aus unterschiedlichen Gründen: Ich finde es nicht sinnvoll, ökologisches und politisches Engagement scharf zu trennen. Politische Entscheidungen haben ja einen maßgeblichen Einfluss auf Umwelt und Klima. Ich kann nicht einfach so an mir vorbeiziehen lassen, dass mit Datteln IV vor einigen Wochen ein neues Kohlekraftwerk ans Netz gegangen ist, während ich mich hier um meine Fische kümmere. Die Klimakrise sorgt ja schon jetzt dafür, dass Ökosysteme kollabieren und Tierarten aussterben – das muss zusammen gedacht werden.
Junge Menschen an Politik und Demokratie heranzuführen ist auch ein Stück weit Anspruch des FÖJ, sei es im Sprecher*innensystem oder durch die Inhalte der Seminare.
Warum sollte man aus deiner Sicht unbedingt ein FÖJ machen?
Ich hab super viel Spaß, lerne neue Freund*innen kennen und darf jede Menge lernen. Abgesehen davon glaube ich, dass ein FÖJ für genau die Themen sensibilisiert, die in Zukunft eine herausragende Bedeutung haben werden – allen voran die Klimakrise. Viele von uns kommen im FÖJ erstmals so richtig damit in Berührung, verstehen entscheidende Zusammenhänge und engagieren sich nach ihrem FÖJ weiterhin für eine klimagerechte Welt.
Vielen Dank für das Interview und Deinen Einsatz!